Stadtrundgang Hamburg Hamburger Nebenschauplätze mit Chris von Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin. Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Holger Korsten.
Dieser Artikel ist der Auftakt zu einer Reihe von Berichten, die sich intensiv mit dem Thema Obdachlosigkeit in Hamburg auseinandersetzen. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Lebensrealitäten der Betroffenen, sondern auch die zahlreichen sozialen Einrichtungen, die ihnen Unterstützung bieten. In den kommenden Beiträgen werde ich einzelne Organisationen und Projekte vorstellen, die täglich einen wertvollen Beitrag leisten, um obdachlosen Menschen in Hamburg zu helfen.
Ein Stadtrundgang der besonderen Art: Mit Chris durch das unsichtbare Hamburg.
Am vergangenen Sonntag, dem 10. November 2024, hatte ich die Gelegenheit, an einem einzigartigen Stadtrundgang von Hinz&Kunzt teilzunehmen. Der Rundgang wird von Chris, einem ehemaligen Obdachlosen, geleitet, der heute u.a. als Stadtführer tätig ist. Was diesen Rundgang so besonders macht, ist nicht nur die Route, die an Orten vorbeiführt, die garantiert in keinem Reiseführer zu finden sind, sondern auch die bewegende Lebensgeschichte von Chris selbst, die er offen mit den Teilnehmern teilt.
Chris‘ Geschichte: Von der Kindheit im Heim zur Straße
Chris‘ Leben begann mit einem schweren Schicksalsschlag: Bereits mit nur 1,5 Jahren wurde er per Gerichtsbeschluss von seinen Eltern getrennt und in ein Heim gebracht. Seine Kindheit verbrachte er 16.5 Jahre in verschiedenen, streng katholischen Heimen, die von Nonnen geführt wurden, in denen er laut eigener Erzählung während der Stadtführung Opfer von Missbrauch durch die Kirche wurde (seelisch und körperlich, nicht sexuell). Schauen Sie sich bitte das kurze Video an, wo Chris etwas zum Missbrauch durch die Kirche sagt! Irgendwann, erschüttert von den Erlebnissen und der Hoffnungslosigkeit, packte Chris seine wenigen Habseligkeiten und verließ das Heim – ohne Ziel, aber in der Hoffnung, der Vergangenheit zu entkommen.
In diesem Video spricht Chris über sich, seinen Weg in die Obdachlosigkeit und über den Weg – 7 Jahre später – wieder heraus.
Für die nächsten 7 Jahre lebte Chris auf der Straße. Er kämpfte nicht nur mit der täglichen Not des Überlebens, sondern auch mit der Drogenabhängigkeit, die ihn in dieser Zeit begleitete. Es war ein Zufall, der sein Leben veränderte: Er traf jemanden von Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin, das sich für obdachlose Menschen einsetzt. Nach vielen Jahren des Alleinseins nahm Chris das erste Mal Hilfe an – ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben.
Der Stadtrundgang Hamburg – Hamburger Nebenschauplätze
Heute führt Chris den Stadtrundgang „Hamburger Nebenschauplätze“, der von Hinz&Kunzt organisiert wird. Dieser Rundgang zeigt eine andere Seite Hamburgs – abseits der glitzernden Einkaufsstraßen und touristischen Attraktionen. Chris führt die Teilnehmer zu Orten, die in keinem Reiseführer stehen, und erzählt dabei nicht nur von den sozialen Einrichtungen, die obdachlosen Menschen helfen, sondern auch von seinen eigenen Erfahrungen.
Eine Frage an unsere Leserinnen und Leser: Wie viel Geld braucht ein Obdachloser pro Tag zum Überleben?
Während des Stadtrundgangs spricht Chris sehr offen über die finanziellen Nöte obdachloser Menschen. Eine wichtige Frage, die er oft stellt, lautet: „Was schätzen Sie, wie viel Geld benötigt ein Obdachloser pro Tag, um Essen, Hygieneartikel und notwendige Dinge für das Überleben zu kaufen?“ Die Antwort darauf überrascht viele, denn die täglichen Ausgaben sind oft höher, als man denkt. Diese und weitere Zahlen, Daten und Fakten erklärt Chris während der Führung sehr ausführlich.
Einrichtungen, die Hoffnung geben
Während des Rundgangs stellt Chris einige der wichtigsten sozialen Einrichtungen in Hamburg vor, die er auf seinem Weg aus der Obdachlosigkeit selbst kennengelernt hat:
- Drob Inn – Beratungs- und Gesundheitszentrum St. Georg: Eine der vorgestellten Einrichtungen ist das Drob Inn, eine niedrigschwellige Kontakt- und Beratungsstelle, die auch Drogenkonsumräume bietet. Hier finden drogenabhängige Menschen konkrete Hilfen zum Überleben und zur sozialen Stabilisierung. Neben Beratungsangeboten steht die medizinische Versorgung im Fokus, was für viele Betroffene oft die einzige Anlaufstelle darstellt. Das Drob Inn ist ein wichtiger Teil des Netzwerks, das versucht, den Menschen auf Hamburgs Straßen zu helfen.
- Herz As – Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose: Das Herz As in der Norderstraße ist eine Tagesaufenthaltsstätte für obdachlose Menschen und bietet seit 1982 einen Ort zum Ausruhen, Essen, Duschen und Wäschewaschen. Hier können Besucher zudem eine Postadresse einrichten und erhalten sozialpädagogische Beratung. Die Einrichtung wird oft von Menschen genutzt, die sich in einer besonders prekären Lebenssituation befinden. Für viele ist das Herz As ein Ort der Geborgenheit, ein Ort der Ruhe und Erholung und ein wichtiger Anker im Alltag.
Weitere vorgestellte Einrichtungen
Chris zeigt auf dem Rundgang weitere Anlaufstellen, die obdachlosen Menschen in Hamburg Unterstützung bieten, wie:
- Tagesaufenthaltsstätten: Diese bieten Verpflegung, Körperpflege sowie soziale und medizinische Beratung.
- Notunterkünfte: Sie bieten obdachlosen Menschen Schutz und eine sichere Übernachtungsmöglichkeit.
- Beratungsstellen: Hier erhalten Betroffene Unterstützung bei der Wohnungssuche und Hilfe im Umgang mit Behörden.
In ganz Hamburg gibt es zahlreiche weitere soziale Einrichtungen. Eine davon ist z.B. das Pik Ass. Die nachfolgenden Einrichtungen werden im Hamburger Stadtrundgang der Hamburger Nebenschauplätze nicht „angelaufen“, verdienen aber die Erwähnung in diesem Artikel, weil Sie eine entscheidende Rolle im Netzwerk der Obdachlosenhilfe in Hamburg darstellen.
Das Pik As – Ein sicherer Hafen für obdachlose Menschen in Hamburg
Das Pik As ist eine der bekanntesten Notunterkünfte für obdachlose Männer in Hamburg und spielt eine zentrale Rolle im Netzwerk sozialer Hilfsangebote der Stadt. Es befindet sich im Stadtteil St. Pauli und ist rund um die Uhr geöffnet, was besonders in den kalten Wintermonaten lebensrettend sein kann. Die Einrichtung wird von der Hamburger Sozialbehörde finanziert und bietet einen Schutzraum für Menschen, die auf der Straße leben und keine andere Übernachtungsmöglichkeit haben.
Weitere wichtige Einrichtungen für Obdachlose sind:
- Diakonie-Zentrum für Wohnungslose (DZW): Dieses Zentrum bietet vielfältige Unterstützungsangebote für obdach- und wohnungslose Menschen, darunter Tagesaufenthaltsstätten, Straßensozialarbeit und medizinische Versorgung (Diakonie Hamburg).
- Bodelschwingh-Haus Hamburg: Die Einrichtung unterstützt alleinstehende wohnungslose Männer ab 25 Jahren mit Beratungsangeboten und Wohnmöglichkeiten, um ihnen den Weg zurück in ein selbstständiges Leben zu erleichtern (Bodelschwingh Haus Hamburg).
- Hamburger Gabenzaun e.V.: Dieser Verein bietet obdachlosen Menschen individuelle Hilfen, wie die Beantragung von Ausweisdokumenten, Unterstützung bei Sozialleistungen und die Bereitstellung einer postalischen Adresse (Hamburger Gabenzaun).
- Tagestreff CariCare: Die Caritas bietet in dieser Tagesaufenthaltsstätte wohnungs- und obdachlosen Menschen einen sicheren Ort mit Angeboten wie Sozialberatung, medizinischer Grundversorgung und Möglichkeiten zur Körperpflege (Caritas im Norden).
- Winternotprogramm Hamburg: Dieses saisonale Programm stellt in den Wintermonaten zusätzliche Übernachtungsplätze für obdachlose Menschen bereit, um sie vor Kälte zu schützen (Radio Hamburg).
- Soziale Beratungsstellen: In jedem Hamburger Bezirk gibt es Beratungsstellen, die obdachlose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen unterstützen. Sie bieten Hilfe bei der Wohnungssuche, dem Kontakt zu Behörden und der Bewältigung persönlicher Probleme.
Abschließend komme ich jetzt wieder zurück zum Stadtrundgang Hamburg und den Hamburger Nebenschauplätzen mit der Führung von Chris von Hinz&Kunzt.
Praktische Informationen zum Stadtrundgang mit Chris
Die offenen Stadtrundgänge finden an zwei Sonntagen im Monat statt, jeweils um 15 Uhr. Treffpunkt für alle Führungen ist der Jakobikirchhof in Hamburg. Die Teilnahmegebühr beträgt 10 Euro pro Person. Der Erlös kommt direkt dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt zugute und unterstützt damit die Arbeit für obdachlose Menschen in Hamburg.
Stadtrundgang Hamburg Nächste Termine der Führung der Hamburger Nebenschauplätze:
- Sonntag, 1. Dezember 2024
- Sonntag, 15. Dezember 2024
Eine Buchung kann bequem online über den folgenden Link vorgenommen werden: Stadtrundgang buchen.
Diese Stadtrundgänge bieten eine einzigartige Gelegenheit, Hamburg aus einer neuen Perspektive kennenzulernen und gleichzeitig das wichtige soziale Engagement von Hinz&Kunzt zu unterstützen.
Über Hinz&Kunzt
Das Straßenmagazin wurde als Kooperationsprojekt von Obdachlosen und Journalisten von Stephan Reimers, dem damaligen Leiter des Diakonischen Werkes Hamburg, gegründet. Im November 1993 erschien die erste Ausgabe. (Quelle und Zitat Wikipedia)
Hinz&Kunzt ist seit November 1993 fester Bestandteil der Hamburger Soziallandschaft. Als Deutschlands auflagenstärkstes Straßenmagazin mit den Schwerpunkten Sozialpolitik, Hamburg-Themen und Kultur wird es von professionellen Journalistinnen und Journalisten erstellt und von mehr als 500 Obdachlosen, Wohnungslosen, Ex-Obdachlosen und Menschen in prekären Lebenslagen auf der Straße verkauft.
Das Projekt bietet diesen Menschen eine unbürokratische Beschäftigung und fördert das soziale Klima in der Stadt, indem es Berührungsängste und Vorurteile zwischen Arm und Reich abbaut. Neben der Magazinproduktion engagiert sich Hinz&Kunzt in der Sozialarbeit, bietet Beratungen, Postadressen, Geldverwaltung und unterstützt bei der Wohnungssuche.
Durch diese vielfältigen Angebote leistet Hinz&Kunzt einen unverzichtbaren Beitrag zum sozialen Engagement in Hamburg und setzt sich aktiv für die Belange sozial benachteiligter Menschen ein.
Ein eindrucksvolles Erlebnis mit nachhaltiger Wirkung
Der Stadtrundgang Hamburg Hamburger Nebenschauplätze mit Chris ist mehr als eine Stadtführung – es ist eine bewegende Begegnung mit der Realität, die viele Menschen in Hamburg nicht sehen. Chris‘ Erzählungen sind ehrlich und ungeschönt, sie geben den Teilnehmern einen Einblick in das Leben auf der Straße, wie ihn nur wenige kennen. Es ist beeindruckend, wie Chris heute seine Vergangenheit verarbeitet und diese Erlebnisse nutzt, um anderen Menschen ein besseres Verständnis für die Situation obdachloser Menschen zu vermitteln. Chris‘ Art ist direkt, gerade heraus und ungeschönt. Chris ist eben Chris!
Für alle, die Hamburg aus einer neuen Perspektive erleben und mehr über die Herausforderungen obdachloser Menschen erfahren möchten, ist dieser Stadtrundgang in Hamburg eine wertvolle und tief berührende Erfahrung (hk).
Holger Korsten, Mittelrhein Tageblatt